Lebensqualität statt Statuswettbewerb

Transkript Folge 12 „Kowall redet Tacheles“

Seit Jahren wird das Berufsleben für den sozialen Status immer wichtiger. Einerseits bringen bessere Jobs ein höheres Einkommen und so mehr prestigeträchtigen Konsum. Andererseits ist Karriere an sich schon ein Statussymbol geworden. Darum ist das Internet voll mit Werbung zur Selbstoptimierung für den Karrierewettbewerb:

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Gibt es einen Ausweg aus diesem Hamsterrad?

Reden wir einmal Tacheles

Lange Zeit verfolgten die Menschen die Idee, dem Berufsleben weniger Bedeutung einzuräumen und der Freizeit mehr. Das sieht man an der Arbeitszeitverkürzung im letzten Jahrhundert. In Österreich wurde 1919 die 48-Stunden-Woche eingeführt. Die Arbeitszeit wurde 1959 auf 45 Stunden reduziert und 1970 auf 43. Die 40-Stunden-Woche wurde schließlich 1975 eingeführt.

Wieso hat man dem Berufsleben früher weniger Bedeutung beigemessen? Erstens gab es viel mehr Routine-Jobs, etwa in Fabriken, mit denen man sich nicht großartig identifizieren konnte. Zweitens konnten die Leute von ihrem Einkommen passabel leben. Zweitens gab es andere Formen gesellschaftlicher Anerkennung. Familiäre Bindungen waren viel wichtiger als heute, das Ehrenamt in Religionsgemeinschaften, Parteien, Verbänden und Vereinen spielte eine viel größere Rolle. Heute hingegen ist keine Rede mehr davon, der Freizeit gegenüber dem Berufsleben mehr Gewicht einzuräumen. Die Normalarbeitszeit wurde seit den 1970ern nicht mehr reduziert. Es ist eher das Gegenteil der Fall, wie die Einführung des 12-Stunden-Tages zeigt. Druck und Stress haben sogar zugenommen. Prekäre Beschäftigung, Wettbewerb und Abstiegsängste setzen den Leuten zu, die Lebensqualität wurde für viele geringer.

Wie viel Zeit gearbeitet wird macht aber einen riesigen Unterschied für die Lebensqualität einer Gesellschaft. So ist die Produktivität in Österreich und den USA ähnlich hoch. Das heißt in einer Arbeitsstunde wird in Österreich beinahe gleich viel Wohlstand geschaffen wie in den USA. Dennoch liegt das Wohlstandsniveau pro Kopf in den USA über jenem von Österreich. Wie ist das möglich? Die Antwort darauf ist einfach: In den USA wird pro Person im Jahr mehr gearbeitet. Der durchschnittlich genommene Urlaub beträgt in den USA rund drei Wochen, verglichen mit fünf Wochen in Österreich. Überdies gibt es in Österreich 13 Feiertage. In den USA sind es deutlich weniger und die Menschen müssen oftmals auch über Weihnachten Urlaubstage verbrauchen. Das Mehr an Freizeit in Europa bringt ein anderes Lebensgefühl als in den USA. Man lebt nicht nur um zu arbeiten, sondern man arbeitet auch um zu leben.

Mittlerweile nähern wir uns der Arbeitskultur der USA aber immer mehr an. Selbstausbeutung und Workaholismus gehören längst zum Lifestyle. Der Wert eines Menschen wird zunehmend an Konsum und Berufsstatus bemessen. Darum treibt der Karrierewahn allerhand Blüten. Weil allen eingeredet wird, dass sie mehr sein müssen als sie sind, werden auch die Berufsbezeichnungen immer skurriler. Eine Sekretärin ist heutzutage eine Office Managerin, ein Hauswart ist ein Facility Manager und eine Verkäuferin eine Sales-Managerin. Ich glaube jedes Mal wenn eine Arbeitnehmerin sich selbst so bezeichnet stirbt etwas in ihr. Ein Stück Unvernunft, ein Stück Wildheit, ein Stück Freiheit.   

Wie kann man den ausufernden Karrierewettbewerb und die Verschlechterung der Lebensqualität durch Druck und Stress wieder in den Griff bekommen? Um es auf den Punkt zu bringen: Man muss die Bedeutung von Berufsstatus und Konsum wieder zurückdrängen. Das heißt weniger Zeit für den Job, stattdessen Sinnstiftung, soziale Anerkennung und Selbstverwirklichung durch andere Aktivitäten. Und das heißt mehr individuelle Verfügung über die eigene Lebenszeit. 

Das ist kein Programm für alle. Viele Menschen haben handfeste materielle Probleme, für die sie klassische Sozialpolitik brauchen: Mindestlöhne oder die Einschränkung der prekären Beschäftigung. Es gibt aber in Österreich immer noch eine sehr breite Mittelschicht, also Menschen, die materiell halbwegs zufrieden sind. Für sie stellt sich in erster Linie die Frage nach einer Verbesserung der Lebensqualität. Dabei spielt eben nicht nur Geld eine Rolle, sondern vor allem auch Zeit! Eine Verkürzung der Arbeitszeit ist ein zentraler Aspekt zur Verbesserung der Lebensqualität.

Stellen wir uns eine Welt vor, in der drei Dinge passieren: Erstens, die Arbeitszeit wird in Einklang mit der Entwicklung der Produktivität über ein paar Jahrzehnte kontinuierlich halbiert. Zweitens, die öffentlichen Güter werden deutlich ausgebaut. Also z.B. mehr öffentliche Verkehrsmittel statt mehr Autos oder ein gescheiter Badesee statt 50 private Swimmingpools. Drittens, es wird Geld von den Reichen an die einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen umverteilt, so dass eine armutsfeste Untergrenze eingezogen wird. In so einer Welt wird die Notwendigkeit, seinen sozialen Status durch Konsum zu zeigen geringer und der Karrierewettbewerb weniger. Die Warenmenge hört auf wie verrückt zu wachsen und andere Lebensbereiche werden gegenüber dem Beruf wichtiger. Der Druck wird weniger, die Freizeit mehr und die Lebensqualität steigt für alle.  

Und es gibt noch einen ganz wichtigen Effekt: Alle Fachleute betonen, dass Ressourcenverbrauch und Schadstoffausstoß in den reichen Staaten nicht mehr wachsen dürfen, ja sogar schrumpfen müssen. Die jährlich steigende Ressourceneffizienz reicht nicht dazu aus, das technisch zu erledigen. Es muss sich auch das Konsumverhalten ändern. Wenn der Konsum künftig viel langsamer wachsen soll, muss sich auch die Produktion entsprechend anpassen. Und das Resultat von weniger Arbeitszeit ist weniger Produktion und damit weniger Ressourcenverbrauch und Schadstoffausstoß.

Mehr öffentliche Güter, weniger Arbeitszeit und mehr Umverteilung sind sozial gerecht, bringen einen Zuwachs an Lebensqualität und sind ökologisch sinnvoll. Soziale, ökologische und philosophische Motive schließen sich hier nicht aus, sondern ergänzen sich. Und ist das Zusammenführen dieser Motive zu einem Gemeinsamen nicht genau das, wonach die demokratische Linke heute sucht? 

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